Forschungsdatenmanagement als überregionale Aufgabe der Informationsversorgung

Was kann eine Zentrale Fachbibliothek wie ZB MED Leibniz-Informationszentrum Lebenswissenschaften leisten?

Birte Lindstädt, ZB MED Leibniz-Informationszentrum Lebenswissenschaften

Zusammenfassung:

Forschungsdaten sind in aller Munde. Soll sich eine überregional tätige Bibliothek deshalb auf diesem Feld engagieren? Und falls ja, für wen und wie? Auf der Grundlage einer breit angelegten Markt- und Zielgruppenanalyse strebt ZB MED ein zielgruppengerechtes Angebot im Bereich Forschungsdatenmanagement an, das sich in erster Linie an den Bedürfnissen der lebenswissenschaftlichen Fächer ausrichtet.

Summary:

Research Data Management is much talked about at present. Should a national library get involved in this field? If the answer is yes, what exactly should be offered and for whom? Based on a broad analysis of the market and the target groups, ZB MED is developing services in the field of research data management which focus on the special needs of the life sciences.

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2015H4S73-77
Autorenidentifikation:
Lindstädt, Birte: GND 105204266X
Schlagwörter: Forschungsdaten; Forschungsdatenmanagement; Bibliothek; Zielgruppe; Angebot

1. Einleitung

Forschungsdaten oder Forschungsdatenmanagement sind derzeit aktuelle Themen in der Bibliothekslandschaft. Warum sollte eine Bibliothek sich um diese Themen kümmern und was kann sie in diesem Kontext leisten?

ZB MED Leibniz-Informationszentrum Lebenswissenschaften hat sich des Themas angenommen und baut sein Know-how und das Serviceangebot diesbezüglich aus. Dies fußt in erster Linie auf einem bei den relevanten Zielgruppen ermittelten Bedarf.

Eine Definition von Forschungsdaten muss dabei immer disziplinabhängig erfolgen. Grundsätzlich sind Forschungsdaten die Daten, die als primäre Quelle für die Ableitung von Forschungsergebnissen und als deren Nachweis und Beleg dienen.

Am Beispiel der Medizin handelt es sich bei Forschungsdaten um:1

Bilddaten aus bildgebenden Verfahren (z.B. MRT)

Sensordaten aus Biosignal- oder Vitalparametermessung (z.B. EKG, EEG)

Biomaterialdaten aus Laboruntersuchungen (z.B. Blutproben, Genom-Daten)

Befunddaten aus der ärztlichen Diagnostik (z.B. Anamnese)

Statistikdaten (z.B. aus anonymisierten Befunddaten)

Klassifikationen und Codes zu Krankheiten oder Materialien (z.B. International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD))

Stammdaten der Patientenverwaltung (z.B. aus Krankenhausinformationssystemen)

In jeder Disziplin gibt es darüber hinaus besondere Rahmenbedingungen, die im Forschungsdatenmanagement berücksichtigt werden müssen. In der Medizin sind dies beispielsweise die enormen Datenmengen, die für eine Archivierung bzw. Publikation anfallen, was vor allem auf die Vielzahl der bildgebenden Verfahren zurückzuführen ist oder auf Daten wie Gen-Sequenzierungen. Eine weitere Besonderheit bilden die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Medizin im Hinblick auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte von Patientinnen und Patienten.

2. Warum Forschungsdatenmanagement bei ZB MED? – Ergebnisse einer Markt- und Zielgruppenanalyse

Von Mitte 2013 bis Mitte 2014 hat ZB MED mit externer Unterstützung eine umfassende Markt- und Zielgruppenanalyse erarbeitet, die als Grundlage für eine strategische Neuausrichtung diente.2

Wesentliche Bausteine der Analyse waren:

eine Vorstudie mit Literaturrecherche und explorativen Interviews in den potenziellen Zielgruppen; hieraus wurden die relevanten Zielgruppen und Märkte abgeleitet.

Eine Onlineumfrage mit über 2.300 auswertbaren Fragebögen zur Bewertung aktueller und künftiger Produkte.

Eine Gap-Analyse zur Ermittlung strategischer und operativer Lücken im Angebot.

Fokusgruppengespräche zur Überprüfung konkreter geplanter Produkte.

Insbesondere aus den ersten beiden Bausteinen ergaben sich jeweils drei hauptsächliche Zielgruppen und strategische Handlungsfelder.

Zielgruppen:

Forschende

Multiplikatoren (z.B. Bibliotheken)

Studierende

Handlungsfelder:

Suchen und Finden

Verarbeiten und Aufbereiten

Publizieren und Verbreiten

Das Forschungsdatenmanagement ist relevant für die Zielgruppen „Forschende“ und „Multiplikatoren“ und ist im Handlungsfeld „Publizieren und Verbreiten“ angesiedelt.

In der Onlineumfrage wurden u.a. auch gezielt Fragen zum Angebot von Serviceleistungen rund um das Forschungsdatenmanagement gestellt, z.B.:

Würden Sie anderen Forschenden eigene empirische Datensätze für deren Analysen zur Verfügung stellen?

Wie interessant ist für Sie folgendes Modell: ein zentrales deutsches Informationszentrum bietet die Nutzung einer Datenbank für empirische Datensätze an?

Anhand der hierzu gegebenen Antworten sowie Äußerungen von Forschenden und Multiplikatoren im Rahmen der durchgeführten Fokusgruppengespräche wurde deutlich, dass das Forschungsdatenmanagement ein strategisches Gap bei ZB MED darstellt. Das bedeutet, dass ZB MED hier ein neues zusätzliches Angebot schaffen sollte, das im Wesentlichen in einem Beratungsservice, in der Kooperation mit bestehenden Forschungsdatenplattformen sowie ggf. in der Schaffung eigener Infrastrukturen für die Publikation von Forschungsdaten bestehen sollte. Der sog. DOI-Service zur Vergabe von persistenten Identifikatoren für digitale Objekte, der bereits seit einigen Jahren angeboten wird, stellt für die neuen Angebote eine wichtige Grundlage dar.

3. Was kann eine Zentrale Fachbibliothek im Forschungsdatenmanagement leisten?

Auf Basis der Ergebnisse aus der Markt- und Zielgruppenanalyse betätigt sich ZB MED als überregional zuständiges Informationszentrum im Wesentlichen in drei Bereichen in Bezug auf das Forschungsdatenmanagement:

Beraten

Publizieren

Vernetzen

Die Beratung wendet sich konkret an die relevanten Zielgruppen der Forschenden und der Multiplikatoren, Publikationsangebote für Forschungsdaten richten sich in der Regel ausschließlich an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Bereich „Vernetzen“ bezieht sich auf die Beteiligung von ZB MED in Gremien, z.B. der Leibniz-Gemeinschaft, bzw. den Aufbau von Netzwerken in den wissenschaftlichen Fachcommunities, beispielsweise durch Vorträge auf Fachtagungen. Aber auch Kontakte in die Politik sind hier Bestandteil. Insgesamt dient der Bereich „Vernetzen“ dazu eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis zu schaffen und die Beratungs- und Publikationsangebote an aktuelle Entwicklungen und die Bedürfnisse der Zielgruppen anzupassen.

Die Beratung umfasst folgende Bausteine:

Informationstexte in Form von Frequently Asked Questions (FAQs)

Workshops und Vorträge für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie für Multiplikatoren in wissenschaftlichen Bibliotheken, an Graduiertenschulen und an lebenswissenschaftlichen Fachbereichen von Hochschulen

Persönliche Beratung über ein Kontaktformular oder telefonisch. Dabei geht es v.a. um Fragen wie: Veröffentlichung von Forschungsdaten und damit zusammenhängende Themen, Erstellung von Datenmanagementplänen, rechtliche Aspekte etc.

Konkrete Angebote im Rahmen der Publikation von Forschungsdaten macht ZB MED in folgenden Bereichen:

Vergabe von Digital Object Identifier (DOI) für Forschungsdaten

Durch die Vergabe eines Persistenten Identifikators, z.B. dem Digital Object Identifier (DOI), wird die Auffindbarkeit und Zitierfähigkeit von Publikationen, insbesondere auch Forschungsdaten, sichergestellt. ZB MED ist Mitglied im DataCite-Konsortium und agiert als DOI-Vergabestelle für akademische Onlineangebote aus den Lebenswissenschaften. DOIs werden schwerpunktmäßig für Forschungsdaten, aber auch für Volltexte vergeben.

Veröffentlichung von Forschungsdaten im Zusammenhang mit der Publikation eines Zeitschriftenartikels im Rahmen von German Medical Science (GMS)

Die Plattform GMS betreibt ZB MED gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). ZB MED übernimmt die Redaktion für alle GMS-Beiträge, berät die herausgebenden Fachgesellschaften, bereitet die zuvor im Peer-Review-Verfahren begutachteten Fachartikel für die Veröffentlichung vor und publiziert sie anschließend. Die über GMS veröffentlichten Artikel sind sowohl über das ZB MED-Suchportal LIVIVO als auch über Suchmaschinen wie Google auffindbar.

Autorinnen und Autoren, die über GMS veröffentlichen, können die ihren Artikeln zugrunde liegenden Forschungsdaten kostenfrei publizieren. ZB MED kooperiert zu diesem Zweck mit dem Forschungsdatenrepositorium Dryad und übernimmt die Publikationskosten. Durch die wechselseitige Zitierung von Artikel und Forschungsdaten wird die Sichtbarkeit für beide gesteigert.

Publikation von Forschungsdaten im Fachrepositorium Lebenswissenschaften

Neben der Publikation digitaler grauer Literatur, Zweitveröffentlichungen und Dissertationen besteht hier künftig die Möglichkeit singuläre Forschungsdaten abzulegen, aber auch Forschungsdaten in Verbindung mit einer zugehörigen Textpublikation.

4. Zusammenfassung und Ausblick

Der Aufbau der Angebote im Bereich Forschungsdatenmanagement folgt bei ZB MED dem Grundsatz keine generischen, sondern fachspezifische Strukturen zu entwickeln, da Forschungsdaten – und damit auch der Umgang mit ihnen – fachspezifisch sind.

Ziel ist eine enge Zusammenarbeit mit den Fachcommunities, d.h. mit Lehrstühlen an Hochschulen und mit außeruniversitären Forschungsinstituten, insbesondere Leibniz-Instituten. Dies dient zum einen der Entwicklung von Angeboten anhand der fachspezifischen Bedürfnisse, zum anderen der gemeinsamen Forschung, z.B. im Rahmen von Drittmittelprojekten.

Inhaltlich orientieren sich die Angebote von ZB MED am sog. Lebenszyklus von Forschungsdaten. In jeder Phase des Lebenszyklus sollen die Zielgruppen beraten und ggf. auch unterstützende Infrastruktur geschaffen werden.

Literaturverzeichnis

Heinhold, Erhardt F.: Markt- und Zielgruppenstudie – Gap-Analyse und Empfehlungen für die ZB MED – Endbericht, Köln: ZB MED Leibniz-Informationszentrum Lebenswissenschaften, 2014. http://dx.doi.org/10.4126/zbmed2014001.

Dickmann, Frank; Rienhoff, Otto: Medizin. In: Heike Neuroth, u.a. (Hg.): Langzeitarchivierung von Forschungsdaten – eine Bestandsaufnahme, Boizenburg: Hülsbusch, 2012, S. 227-256. http://nestor.sub.uni-goettingen.de/bestandsaufnahme/nestor_lza_forschungsdaten_bestandsaufnahme.pdf (02.10.2015).

1 Zu Forschungsdaten in der Medizin vgl. Dickmann, Frank; Rienhoff, Otto: Medizin. In: Heike Neuroth, u.a. (Hg.): Langzeitarchivierung von Forschungsdaten – eine Bestandsaufnahme, Boizenburg: Hülsbusch, 2012, S. 227–256. http://nestor.sub.uni-goettingen.de/bestandsaufnahme/nestor_lza_forschungsdaten_bestandsaufnahme.pdf (02.10.2015).

2 Heinhold, Erhardt F.: Markt- und Zielgruppenstudie – Gap-Analyse und Empfehlungen für die ZB MED – Endbericht, Köln: ZB MED Leibniz-Informationszentrum Lebenswissenschaften, 2014. http://dx.doi.org/10.4126/zbmed2014001.