Wie aus Garagen, Dreiecken, Normen und Kino ein Lernraum wird

Bericht vom Workshop „Vom Raum zum Lernraum“ der UB Rostock

Was hat eine Garage mit Lernraum zu tun? Was ein Logbuch mit Campusplanung? An welcher Stelle der Lernraumgestaltung kommen Normen ins Spiel? Was ist die von Studierenden am wenigsten geliebte Farbe? Wie kommt eine Bibliothek ins Kino? Sind Dreieckstische besser für Gruppenarbeit? Diese und ähnliche Fragen hat der am 25. September 2015 an der Universitätsbibliothek Rostock durchgeführte Workshop „Vom Raum zum Lernraum“ aufgeworfen – und beantwortet. Der bis zum letzten Platz ausgebuchte Workshop wurde von der UB Rostock zusammen mit dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern des VDB veranstaltet; er war zugleich Teil einer zusammen mit polnischen Kolleginnen und Kollegen aus Stettin (Szczecin) veranstalteten Fachtagung „Die Zukunft der Bibliotheksräume“.1

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Normen für Lernräume: Möglichkeiten und Grenzen – Olaf Eigenbrodt, SUB Hamburg

Auch für Bibliotheksgebäude sind inzwischen zahlreiche nationale wie internationale Normen, Standards und Empfehlungen erarbeitet worden, die die Umbau- oder Neubauplanung, aber auch die Planung von Innenräumen unterstützen könnten, z.B. Kennzahlen für Nutzerarbeitsplatzflächen, Anforderungen an die Lichtabdeckung oder Empfehlungen für automatische Hochregallager (Magazine). Olaf Eigenbrodt, SUB Hamburg, beschrieb, wo solche Normen helfen und wo sie inzwischen an die Grenzen stoßen können: An Grenzen stoßen solche Standards und Normen etwa bei denkmalgeschützten Gebäuden – aber eben auch bei der Gestaltung von Lernräumen, z.B. wenn es um informelle, flexible Nutzerarbeitsplätze geht, die häufig in Bibliothekslounges integriert sind, jedoch nicht als Arbeitsplatz flächennormativ anerkannt sind. Für Lernräume gibt es (noch) keine alles abdeckenden Normen oder Standards, da sie überwiegend zeitlich vor der Neuakzentuierung von Hochschulbibliotheken als Lernräume entstanden sind. Lernraumnutzungsszenarien, Lernraummobiliar, Lernraumzonen („Flex-Zonen“ wie in der ZLB Berlin, Makerspaces o.a.) – das kann man mit den bisherigen Standardisierungen nicht mehr fassen. Das gilt übrigens auch für die Büros von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Hochschulbibliotheken, deren Gestaltung auch aktuellen Trends folgt (z.B. flexible Projektzonen). Auch deshalb, so Olaf Eigenbrodt, werden gegenwärtig entsprechende Normen, Standards, Empfehlungen weiterentwickelt und überarbeitet.

Kreative Mikroräume: Das Prinzip Garage Jörg Noennig, TU Dresden

Dass Raum und Wissen untrennbar zusammenhängen, dass eine räumlich öde Hochschule wenig dynamisch bis negativ auf die dortige Wissensaneignung und -produktion wirken kann, belegte Jörg Noennig, Professor an der Fakultät Architektur der TU Dresden, am Beispiel so genannter universitärer Mikroräume. Nischen, Lücken, Flure, Treppenhäuser in Campusgebäuden – auch in Hochschulbibliotheken – müssen keine verlorenen, unnützen, „defizitären“ Räume sein, sondern sie können wichtige Funktionen erfüllen: Als bewusst arrangierte und systematisch gestaltete Mikroräume dienen sie optimal entweder als kommunikativer Zwischenort oder als Rückzugsort für lernende Studierende. Auch dort kann letztlich universitäres Wissen gelernt und „produziert“ werden – eben wie in der berühmt gewordenen Garage der Google-Erfinder. Solche bisher unbeachteten Mikroräume lassen sich an jeder Hochschule finden und man kann sie – in Abhängigkeit von Campuslage – mit minimalem Aufwand „aktivieren“, so das Plädoyer von Noennig. Das kann z.B. wie an der Universität Leipzig erreicht werden, indem Durchgangsräume (Durchgang von einem Campusgebäude zu einem innerstädtischen Platz) zu einer Kommunikationsinsel umgewandelt werden mittels einer mit Papier bespannten Fläche auf Tischhöhe sowie Stifte, Sessel, Sofa: Dieser Raum füllte sich anschließend rasch mit Studierenden, Dozierenden, Passanten; und die Papierwand füllte sich mit Notizen und Ideen – vielleicht eine für ein neues Startup-Unternehmen oder als Inspiration für die Gestaltung von Lernräumen?

15 Inspirationen zur Gestaltung von Lernräumen – Jens Ilg, UB Rostock

Was macht eine Hochschulbibliothek zu einem Lernraum? Zu einem Raumangebot, das auch als Lernraum funktioniert? Das waren zentrale Fragen, die mit dem zweijährigen Projekt „Lernraum Bibliothek 2015“ der UB Rostock beantwortet wurden. Jens Ilg, der die Workshoporganisation und dieses Projekt leitete, fasste die Ergebnisse in 15 Thesen zusammen, die wiederum anderen Kolleginnen und Kollegen als Inspiration dienen können. Basis dafür waren empirische, quantitative und qualitative Befragungen, u.a. eine Befragung Studierender, mehrere Design-Workshops mit Studierenden, Best-Practice-Reisen oder Expertenworkshops. Zu den vorgestellten Inspirationen, die alle mit O-Tönen von Bibliotheksbesucher/inne/n illustriert wurden, gehörten auch diese: „Lernräume bewegen“, „Lernräume sind Gärten“ und „Lernräume inspirieren“. „Lernräume bewegen“ war ganz und gar wörtlich gemeint, d.h. dass Lernräume in Bibliotheken dann gut funktionieren, wenn dort (oder in ihrer Peripherie) auch Bewegungsangebote für die dort oftmals bis zu 8 Stunden (in vorlesungsfreier Zeit) lernenden Studierenden integriert werden – wie Mini-Ergometer, Schreibtischlaufbänder oder einfach nur Sitzbälle oder (lärmisolierte) Kicker, denn, so ein Zitat eines Bibliotheksbesuchers, „Menschen lernen in Bewegung“. Die These, dass (gut funktionierende) „Lernräume Gärten sind“, fasst eine bekannte und in jenem Projekt nochmals empirisch fundierte Annahme zusammen, dass die meisten Bibliotheksbesucher/innen natürliches Licht und Grünpflanzen an ihren Arbeitsplätzen in der Bibliothek bevorzugen. Die These, dass (gut funktionierende) „Lernräume inspirieren“ war auch als Appell gemeint: Weg von neutralen Farben, hin zu mehr Mut zu Farbe (am besten auf Basis eines abgestimmten Farbkonzepts)! Übrigens: Die am wenigsten geliebte Farbe unter Rostocker Studierenden ist das Sichtbetongrau.

Vom Homie bis Flaneur – Alexa Kunz, House of Competence des KIT

Wie man empirisch die Nutzungen und Erwartungen Studierender an den Campus als Raum erforscht, beschrieb Alexa Kunz vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das Raumlogbuch spielte dabei – d.h. in ihrem Projekt „My Campus Karlsruhe“ – methodisch eine tragende Rolle: Studierende dokumentierten darin über zwei Wochen lang, was sie wo (auf dem Campus) und wie lange gemacht haben, ob die Orte und Wege ihren Bedürfnissen entgegen kamen und welche Erfahrungen sie dabei gemacht haben. Herausgekommen sind u.a. so genannte Nutzertypen, d.h. es gibt nicht den Studierenden, der den Campus auf die Art und Weise nutzt, sondern insgesamt fünf typische Campusnutzungsmuster, darunter der „Separator“, also der Studierende, der Geselligkeit auf dem Campus auf das Nötigste beschränkt, denn er „ist zum Arbeiten da, nicht um Party zu machen.“ Anders der „Homie“, der den Campus außerhalb der Lehrveranstaltungen überwiegend als Informationsort nutzt, und der sich wiederum vom quasi wohnungslosen „Integrator“ unterscheidet, für den der Campus nicht nur Arbeitsort, sondern zugleich Lebensraum ist. Diese und andere erarbeiteten Ergebnisse führten in Karlsruhe u.a. dazu, dass nicht nur freie Foyerflächen zu BYOD-Arbeitsplätzen umgewidmet wurden, sondern auch zur inzwischen überregional bekannten Kooperation mit dem Staatstheater Karlsruhe, dessen leer stehende Foyers tagsüber nun von Studierenden als Lernraum genutzt werden.

Wie aus einem Kino eine Bibliothek wurde – Dagmara Budek, Biblioteka Glowna, Stettin (Szczecin)

Wie aus einem ehemaligen Kinogebäude eine Bibliothek und dabei zugleich eine strukturelle Neuorganisation entstehen kann, berichtete Dagmara Budek, die Leiterin der Bibliothek Glowna in Stettin (Szczecin), einer medizinischen Universität. Die Bibliothek versorgt rund 5.000 Studierende – nun auch mit einem vom Kino zum Lernraum umgewandelten Arbeitsplatzangebot, inklusive (weniger) Freihandbestände. Dafür wurde aus der „Dunkelkammer“ Kino ein tageslichtreicher Open-Space-Raum: Die zahlreich postierten Grünpflanzen verleihen dem ehemaligen Kino ebenso eine stimulierende Lernatmosphäre wie die durch Freihandregale abgestimmte fein gegliederte Zonierung. Und der ehemalige Projektor- und Filmvorführraum bietet immer noch die Perspektive in einen „Zuschauerraum“, allerdings nun als Gruppenarbeitsraum mit Blick auf die übrigen Lernplätze – ganz großes Kino!

Der Raum als Dritter Pädagoge – Jürgen Kalkbrenner, Buch und Medien GmbH

Mit diesem Vortrag kam ein Schul- und inzwischen auch ein Bibliotheksausstatter zu Wort. Jürgen Kalkbrenner präsentierte die von seiner Firma entwickelten mobiliaren Lösungen für die Ausstattung von Klassenzimmern unter der Marke „Flexibles Klassenzimmer“. Beschrieben wurden ausgewählte mobiliare Elemente sowie die Problemstellungen, für die sie eine Lösung bieten. Deutlich wurde, dass Schulen und Bibliotheken nicht nur deswegen eine gemeinsame Schnittmenge haben, weil Schüler/innen die Bibliotheksnutzer/innen von morgen sein werden. Beide teilen sich auch aktuelle Anforderungen an Lernräume: Flexibilität und Gruppenarbeit. Schüler/innen wie Studierende arbeiten zunehmend selbstständig und gemeinsam in kleinen und mittelgroßen Gruppen – und das häufig spontan und am liebsten überall: Möbel werden so, wie sie es benötigen, einfach selbstständig arrangiert, und zwar unabhängig davon, ob das Mobiliar, der Fußboden oder die Ohren anderer dies nahelegen. So ist es folgerichtig, dass das darauf abgestimmte und nun auch weiterentwickelte Mobiliar wie rollbare und (kinder-)leicht hantierbare Dreieckstische aus der Reihe „Flexibles Klassenzimmer“ inzwischen auch an Hochschulbibliotheken eingesetzt werden – ebenfalls für individuell arrangierbare Gruppenarbeitszonen.

Die UB Rostock wird künftig regelmäßig Workshops zu diesem und zu anderen Themen anbieten, die in der Regel immer am letzten Septemberwochenende stattfinden werden. Sie sind herzlich eingeladen!

Jens Ilg, Universitätsbibliothek Rostock

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2015H4S324-327

1 Die Vorträge wurden aufgezeichnet (nicht die Diskussion in den anschließenden Breakoutsessions); die Videos und – soweit die Referent/inn/en zustimmen konnten – die Vortragsskripte (inklusive die der krankheitsbedingt abgesagten Referenten zum Thema ekz-Ideenwettbewerb und Universität als Lernraum) stehen frei zugänglich zur Verfügung unter: http://web10.ub.uni-rostock.de/wiki/Workshop_Vom_Raum_zum_Lernraum,_25.09.2015 (03.12.2015).

Ilg, Bericht vom Workshop „Vom Raum zum Lernraum“ der UB Rostock