Politik für Bibliotheken

Die Lobbyarbeit des dbv

Allgemeine Überlegungen und konkrete Umsetzung am Beispiel des Urheberrechts

Natascha Reip, Deutscher Bibliotheksverband
Frank Simon-Ritz, Deutscher Bibliotheksverband, Universitätsbibliothek der Bauhaus-Universität Weimar

Zusammenfassung:

Der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv) ist der Interessenvertreter aller Bibliotheken, formuliert bibliothekspolitische Forderungen, reagiert schnell auf aktuelle Entwicklungen und gibt den Bibliotheken Hilfestellungen. Der dbv hat seit 2012 seine Interessenvertretung weiter professionalisiert und intensiviert. Der Verband pflegt enge Kontakte zu den Parlamenten und den Ministerien auf Bundes- und Länderebene, zu den kommunalen Spitzenverbänden und Gebietskörperschaften und nimmt Einfluss auf Gesetzgebung und parlamentarische Willensbildung. Der Beitrag stellt grundlegende Instrumente der politischen Kommunikation vor und hebt anhand des konkreten Beispiels Urheberrecht deren Erfolgsfaktoren hervor: Erfolg hat, wer zur richtigen Zeit in der passenden Sprache mit den richtigen Beamt/inn/en oder Politiker/inne/n spricht.

Summary:

The German Library Association (dbv) represents the interests of all libraries in Germany, formulates requirements for library policy, responds quickly to current developments and provides assistance for libraries. Since 2012 the dbv has professionalized and intensified its lobbying activities. The Association maintains close contacts with parliaments and ministries at federal and state level, as well as with municipal associations and local authorities and influences the legislation and the parliamentary decision-making process. The article presents basic tools for political communication and uses the example of copyright in order to emphasize the factors for success: To speak at the right time in an appropriate language to the right official or politician.

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2015H4S1-10
Autorenidentifikation:
Simon-Ritz, Frank: GND 114863202
Schlagwörter:
Politische Kommunikation; Lobbyarbeit; Bibliothek; Urheberrecht

1. Was ist Lobbyarbeit?

„Lobbyarbeit“ oder „Lobbying“ ist in Deutschland ein fast schon anstößiger Begriff. Bei vielen Zeitgenoss/inn/en scheint die Bedeutung von Lobbyarbeit nicht weit von dem entfernt zu sein, was andere unter massiver Beeinflussung verstehen, die mitunter bis zur versuchten Bestechung gehen kann. Auch wenn die Grenze bisweilen schwer zu ziehen sein mag, meint der Begriff „Lobbyarbeit“ im Grunde vor allem, dass Interessengruppen aus dem gesellschaftlichen Raum – zu denen auch ein Institutionenverband wie der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) gehört – ihren Interessen und ihren Anliegen im politischen Raum Gehör verschaffen wollen. Da den gesellschaftlichen Interessenverbänden der direkte Zugang zum Parlament in der Regel verwehrt ist, findet diese Vermittlung von Interessen und Anliegen meist im außer- bzw. vorparlamentarischen Raum statt. Diesen Raum kann man durchaus als den Raum der Lobbyarbeit beschreiben. Von daher verstehen wir im dbv Lobbyarbeit in erster Linie als etwas, das dazu beitragen soll, die Anliegen der Bibliotheken und ihrer Nutzerinnen und Nutzer im politischen Raum deutlicher erkennbar zu machen und diese strategisch zu positionieren. Politik ist ein ständiger Kommunikationsprozess und die Lobbyarbeit ein integraler Bestandteil davon. Gerade Verbände wie der dbv haben Alleinstellungsmerkmale, die sie für das Lobbying besonders legitimieren und die ihren besonderen Wert im politischen Diskurs und in der Politik ausmachen.

2. Max Webers Verständnis von Politik

Für das Feld der eher im vorpolitischen Raum beheimateten Lobbyarbeit und politischen Kommunikation gilt die klassische Definition Max Webers von Politik in ähnlicher Weise. Weber hat in seinem 1919 gehaltenen Vortrag mit der Überschrift „Politik als Beruf“ die Formel geprägt, Politik sei „ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“.1

Auch wenn diese Definition allseits bekannt sein dürfte, lohnt es sich, bei ihren einzelnen Elementen einen Moment zu verweilen. Da ist zunächst das „starke, langsame Bohren“. Es braucht also sowohl eine gewisse Stärke und Kraft als auch eine gewisse Ausdauer, die u.a. aus strategischem und bedachtem Vorgehen sowie dem politischen Prozess resultiert. Dies hat sicherlich nicht zuletzt damit zu tun, dass es sich bei im politischen Raum zu bewegenden Themen und Problemen in der Regel um „harte Bretter“ handelt. Das Durchsetzen von Entscheidungen bedeutet, dass man an verschiedenen Stellen ansetzen und dass jeder politische Entscheidungsprozess zahlreiche Stufen durchlaufen muss. Der letzte Teil der Aussage bezieht sich auf das, was derjenige mitbringen sollte, der einen politischen Prozess voranbringen will. Auch hier gilt, dass Max Weber die Heterogenität und scheinbare Gegensätzlichkeit der Anforderungen, die gestellt werden, klug erfasst und treffend formuliert hat. Tatsächlich ist es so, dass es einer gewissen Leidenschaft bedarf, um Unterstützung im politischen Raum zu finden. Wenn ich selber nicht von dem überzeugt bin, was ich im politischen Raum „verkaufen“ will, wie will ich dann andere überzeugen? Und doch muss diese Leidenschaft von Augenmaß begleitet sein. Wenn ich mich einfach davon fortreißen lasse, dass ich bis ins Letzte von meinem Anliegen, seinen Aspekten und Konsequenzen überzeugt bin, nutzt es diesem wenig, wenn ich dabei die „Gestimmtheit“ meines Gegenübers aus dem Blick verliere. Nur das rechte Augenmaß kann mir helfen, mein Anliegen so vorzutragen, dass ich das Gegenüber mitnehmen kann.

3. Voraussetzungen für erfolgreiches Lobbying

Nachdem nun der allgemeine Rahmen dargelegt wurde, in den unsere Überlegungen zur Lobbyarbeit des dbv eingespannt sind, geht es im Folgenden insbesondere darum, konkret auszuführen, was Lobbying in unserem speziellen Bibliothekskontext bedeutet. Zuvor muss man über eine Reihe von Voraussetzungen sprechen, die es für eine gelingende Lobbyarbeit zu berücksichtigen gilt.

Hierzu gehört, dass es der Lobbyistin und dem Lobbyisten gelingen muss, Inhalte zu identifizieren, die für die Gesprächspartner/innen im politischen Raum überhaupt von Relevanz sind. Um diese Themen weiter verfolgen zu können, ist es zwingend erforderlich, die politische Situation möglichst konkret zu analysieren. Unerlässlich ist es für die Lobbyarbeit, dass wir ein Verständnis für das Funktionieren politischer Strukturen und Gremien entwickeln, das uns in der Regel weder in die Wiege gelegt ist, noch im Schulunterricht oder gar in der bibliothekarischen Ausbildung vermittelt wird. Überaus wichtig ist ebenfalls, nach möglichen Unterstützerinnen und Unterstützern sowohl im politischen als auch im vorpolitischen Raum zu suchen. Zum Lobbying gehört nicht zuletzt auch, bereit und in der Lage zu sein, die eigene Position im Sinne unserer heutigen Mediengesellschaft in Szene zu setzen und damit Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und schließlich muss man ein Gefühl für aktuelle Gelegenheiten und Anlässe entwickeln, die es ermöglichen, die eigenen Themen damit zu verknüpfen und ins Gespräch zu bringen.

3.1. Strategische Themenfindung

Auch wenn es banal klingen mag, dass es im ersten Schritt darum geht, Themen zu identifizieren, die überhaupt von Relevanz für die Politik sind, ist es doch häufig so, dass bereits in diesem frühen Stadium so manche Lobbyaktivität scheitert. Das kann einfach damit zu tun haben, dass unter Bibliothekarinnen und Bibliothekaren die klare Unterscheidung, was politische Themen sind und was eben nicht, mitunter schwerfällt. In jedem Fall sind Fragen, die einem engeren berufsfachlichen Kontext angehören, insbesondere für Politikerinnen und Politiker vor allem deshalb irrelevant und damit zugleich uninteressant, weil sie zu ihrer Entwicklung, Ausgestaltung oder Beantwortung ohnehin nichts beitragen können. Dies ist nach unserer Erfahrung eine Frage, die sich die Adressaten der Lobbyarbeit sehr schnell stellen: Kann ich hier überhaupt etwas tun? Wird diese Frage mit Nein beantwortet, ist das Gespräch im Grunde schon beendet – selbst wenn es noch eine Weile vor sich hin plätschert. Für die Politik relevante Themen sind in der Regel Themen, die – wenn sie sich nicht auf Finanzierungsfragen beziehen – mit dem gesetzlichen Rahmen zu tun haben, in den Bibliotheken eingespannt sind. Das gilt selbstverständlich für eine eher allgemeine Thematik wie die der Bibliotheksgesetzgebung, das gilt zum anderen aber auch für Rechtsgebiete wie das Urheberrecht, das Arbeitszeitrecht, über das u.a. die Sonntagsöffnung auch von Bibliotheken geregelt ist, sowie für Themen wie die Buchpreisbindung oder Mehrwertsteuersätze. Daneben gibt es eher allgemeine Fragen, die mit der Entwicklung von Bibliotheken zu tun haben, die gelegentlich auch die Parlamente und Parlamentarier/innen beschäftigen. Das können Bereiche wie die der Bestandserhaltung oder der Digitalisierung sein; das ist seit einigen Jahren aber insbesondere auch der Themenkomplex, der sich um „kulturelle Bildung“ dreht. All das sind Fragen, über die man mit Politikerinnen und Politikern, die in diesem Bereich tätig sind, gut ins Gespräch kommen kann.

3.2. Positionierung im politischen Umfeld

Um sinnvoll und zielgerichtet in ein solches Gespräch einzusteigen, ist es − wie bereits angedeutet − von großer Bedeutung, sich über politische Situationen und Positionen im Klaren zu sein. Das gilt zunächst ganz allgemein für die Sachfragen des Themas selber. Ich muss wissen, welche unterschiedlichen Positionen es zu dem Thema im politischen Raum gibt und wer sie vertritt. Zugleich sollte ich mir darüber im Klaren sein, wo es möglicherweise Schnittmengen und Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Positionen gibt und wo tatsächlich gegensätzliche Auffassungen aufeinanderprallen.

Um einschätzen zu können, auf welchen politischen Wegen ich mit meinem Thema erfolgversprechend agieren kann, muss ich ein tieferes Verständnis für das Funktionieren politischer Strukturen und Gremien entwickeln. Das bedeutet, dass ich mir im Einzelnen darüber klar sein muss, was ein kommunales Thema ist, welches Thema am ehesten auf der Ebene der Bundesländer angesiedelt ist und wo die Zuständigkeiten des Bundes überwiegen. Wenn ich dies nicht von Anfang an richtig zuordne, werde ich große Probleme haben, den richtigen Adressaten für mein Thema zu finden. Das gilt in ähnlicher Weise für die Frage, welche Themen am ehesten als solche der Exekutive, also einer jeweiligen Regierung zu betrachten sind und welche Themen von in der Regel grundlegenderer Bedeutung als allgemeine Themen der Legislative, also eines jeweiligen Parlaments zu verorten sind. Auch dies hat Konsequenzen für die Auswahl meiner Ansprechpartner/innen.

Wenn ich mich mit meinem Anliegen in einem parlamentarischen Kontext bewege, komme ich nicht umhin zu erkennen, welche Positionen die Regierungsfraktion bzw. -fraktionen und welche die Opposition vertreten. Alle diese Fragen sollten geklärt sein, bevor ich in konkrete Gespräche einsteige.

3.3. Bedingungen für Unterstützung im politischen Raum

Bei der Suche nach Unterstützung im politischen Raum sind verschiedene Aspekte zu bedenken: Nahezu unverzichtbar ist ein themenspezifisches Monitoring. Das bedeutet, dass man sich einen Überblick verschaffen muss, wer sich zum jeweiligen Thema bereits geäußert hat, welche politischen Initiativen ggf. auf Bundes- bzw. Länderebene hierzu geplant sind. Wenn es entsprechende Positionierungen und Initiativen gibt, muss man sich überlegen, wo es möglicherweise Anknüpfungspunkte für die eigene Position gibt. Wenn es darum geht, Unterstützung im politischen Raum zu finden, sollte man sich darüber bewusst sein, dass es gerade hier – trotz aller personellen Wechsel – wichtig ist, langfristige Kontakte zu knüpfen. Das bedeutet, dass man bei politischen Gesprächsterminen nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen sollte. Wichtig ist vielmehr, dass ein Gesprächsklima entsteht, in dem man dann tatsächlich auf konkrete Anliegen zu sprechen kommen kann. Wenn dies beim ersten Gesprächstermin gelingt, kann das zweite Gespräch erfahrungsgemäß wesentlich direkter und unkomplizierter ablaufen. An dieser Stelle ist noch einmal zu betonen, dass sich Verbandsvertreter/innen aufgrund der speziellen Bedeutung und der herausgehobenen Stellung von Verbänden im Dialog mit Politikerinnen und Politikern als legitime Vertreter/innen der Interessen ihrer Mitglieder präsentieren können.

Bei Kontakten zur Politik gilt ähnlich wie bei Kontakten zu den Medien, dass wichtige Faktoren für die Platzierung eines eigenen Anliegens darin bestehen, dass man ein aktuelles Thema hat, interessante Expertinnen und Experten anbieten kann und einen günstigen Zeitpunkt für seine Initiative wählt.

3.4. Flankierende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Die Erfahrungen des dbv der letzten drei Jahre zeigen, dass eine strategisch orientierte Lobbyarbeit von einer effektiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit flankiert werden muss. Dabei geht es mitunter darum, die eigene Position wirkungsvoll in Szene zu setzen. Und hier ist es weiterhin so, dass Bibliotheken häufig dazu neigen, ihre eigenen Potenziale an dieser Stelle zu unterschätzen. Bibliotheken bieten in verschiedener Hinsicht einen interessanten Rahmen – sei es, dass sie ein hoch frequentierter Ort sind, sei es durch eine geradezu anheimelnde Medienpräsentation, sei es durch ihre vielfach moderne technische Ausstattung –, um die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen. Sie sollten noch viel stärker versuchen, die „Macht der Bilder“, die sie den Medien anbieten können, im Sinne der eigenen Interessen zu nutzen und ihr Image entsprechend zu gestalten. Hierbei gilt, dass Bibliotheken in der Breite noch stärker daran mitwirken könnten und sollten, als Multiplikatoren zu wirken und anlassbezogen medial präsent zu sein. Wichtige Synergien zwischen Lobbyarbeit auf der einen und Öffentlichkeitsarbeit auf der anderen Seite lassen sich sehr gut erzielen, wenn es beispielsweise gelingt, eine Politikerin oder einen Politiker in die Bibliothek zu holen.

Ebenfalls noch stärker können Bibliotheken in diesem Kontext vorhersehbare – und damit langfristig planbare – Anlässe nutzen. Das gilt für Gedenktage, Jahrestage und Jubiläen aller Art. Hinzu kommt, dass Bibliotheken sich abzeichnende aktuelle Anlässe – z. B. die Einbringung von Gesetzesvorlagen in die Parlamente auf den verschiedenen Ebenen – für die eigenen Initiativen nutzen können. In diesem Rahmen kann die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sehr gut Themen aufgreifen, die aus der Lobbyarbeit resultieren. Und schließlich gibt es die Möglichkeit, auf Äußerungen in den Medien – sei es von Politiker/inne/n oder von anderen prominenten oder semiprominenten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – zu reagieren. Dies setzt voraus, dass man zu schnellen Reaktionen in der Lage ist.

4. Konkrete Umsetzung am Beispiel des Urheberrechts

Dieser kleine „Baukasten“ in Sachen Lobbyarbeit soll im Folgenden im Kontext der Positionierung des Deutschen Bibliotheksverbands zum Thema „Urheberrecht für die Wissensgesellschaft“ näher erläutert werden. Ein erster Schritt war zunächst die Analyse der politischen Situation. Ein probates Mittel hierfür waren im Kontext der Bundestagswahl 2013 die sogenannten Wahlprüfsteine, die der dbv aus diesem Anlass erarbeitet hat. Die Parteien wurden u.a. gefragt, ob sie die zügige Umsetzung der von vielen Seiten langfristig angekündigten allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht planen, was diese Schranke im Einzelnen regeln soll und wie aus ihrer Sicht das Zweitveröffentlichungsrecht konkret ausgestaltet werden sollte. Die Antworten, die aus allen Parteien auf diese Wahlprüfsteine eingingen, gaben erste Orientierung dazu, in welcher Weise aus Sicht des dbv zentral wichtige Urheberrechtsfragen diskutiert wurden. Durch die Wahl selber und die anschließenden Koalitionsverhandlungen zeichnete sich schnell ab, wie die politischen Kräfteverhältnisse in dieser Legislaturperiode des Bundestags, unter denen die angestrebte Neuregelung zustande kommen würde, aussehen. Als ein erster Meilenstein in diesem Kontext ist sicherlich der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2013 anzusehen. Hier heißt es mit erstaunlicher Klarheit: „Wir werden den wichtigen Belangen von Wissenschaft und Bildung stärker Rechnung tragen und eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einführen.“2 Der dbv hat diesen Prozess aktiv begleitet und die Facharbeitsgruppen, die über die einzelnen Politikfelder beraten haben, auf die Anliegen der Bibliotheken und ihrer Nutzerinnen und Nutzer aufmerksam gemacht.

4.1. Verständnis für das Funktionieren politischer Strukturen

Zwei Jahre nach Verabschiedung des Koalitionsvertrags sei darauf hingewiesen, dass ein Koalitionsvertrag noch kein Gesetzgebungsverfahren darstellt. Allerdings gibt es vielfältige Erfahrungen, die darauf hindeuten, dass ohne Verankerung in einem Koalitionsvertrag ein Gesetzgebungsverfahren in der darauf folgenden Legislaturperiode nur sehr selten in Gang kommt. Von daher bestehen mit der Verankerung im aktuellen Koalitionsvertrag zumindest sehr gute Voraussetzungen dafür, dass tatsächlich eine entsprechende Gesetzesnovellierung auf den Weg gebracht wird.

Da es jetzt in diesem Kontext darum geht, aufgrund des Verständnisses für das Funktionieren politischer Strukturen und Gremien eine Einschätzung zu gewinnen, wie dieses Gesetzgebungsverfahren begleitet werden kann, ist im Rahmen der Urheberrechtsnovellierung festzuhalten, dass bei allen Rechtsfragen auf der Seite der Exekutive das Bundesjustizministerium (BMJV) und auf Seiten der Legislative entsprechend der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die Federführung haben. Selbstverständlich begleiten die jeweiligen Fachministerien und Fachausschüsse konkrete Gesetzgebungsvorhaben, aber die Federführung liegt im BMJV. Für den Bereich des Wissenschaftsurheberrechts sind u.a. das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bzw. der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung als mitberatend anzusehen.

4.2. Themenallianzen als effektives Instrument

Gerade beim Thema Wissenschaftsurheberrecht kann der dbv selbstverständlich als Verband alleine kaum etwas bewirken. Im konkreten Umfeld des dbv aber, insbesondere bei anderen Organisationen in den Bereichen Bildung und Wissenschaft, gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte und Überschneidungen. So ist u.a. auf eine entsprechende Positionierung des Urheberrechtsbündnisses hinzuweisen.3 Der Deutsche Kulturrat, in dem neben Vertreterinnen und Vertretern vieler anderer Kulturbereiche auch Autorinnen und Autoren sowie Bibliotheken und Verlage aktiv sind, hat sich im Jahre 2014 eindeutig für eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke ausgesprochen.4 Somit wird deutlich, dass der dbv mit seiner Position keineswegs alleine steht und dass strategische bzw. Themenallianzen ebenfalls ein effektives Lobbyinstrument sind.

4.3. Politikerinnen und Politiker in die Öffentlichkeitsarbeit einbeziehen

Wichtig für den dbv als Lobbyverband ist, wie bei allen Themen, auch beim Thema Urheberrecht, die eigene Position wirkungsvoll in Szene zu setzen. Ebenso kann den Politiker/inne/n eine für sie wichtige Bühne geboten werden. So kann für beide Seiten ein Mehrwert geschaffen werden. Dies ist uns in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen gelungen. Hinzuweisen ist u.a. auf ein gut besuchtes Fachsymposium mit anschließender Podiumsdiskussion mit Vertreter/inne/n aller politischen Parteien aus der letzten Legislaturperiode des Bundestags am 25. Oktober 2012 im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.5 In ähnlicher Weise hat der dbv einen Termin mit Mitgliedern des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 25. Juni 2014 im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin genutzt, um seine Vorschläge zur Novellierung des Urheberrechtsgesetzes vorzustellen.6 Gerade am Beispiel des Urheberrechts lässt sich aber zeigen, dass der dbv auch (vielfältige) andere Möglichkeiten hat, seine Positionen zu inszenieren. So konnte der dbv zuletzt den Bericht zur Lage der Bibliotheken im Jahr 2014 für eine Darstellung seiner Positionierung in Sachen Bildungs- und Wissenschaftsschranke nutzen.7

Als aktuelle Gelegenheit für die Positionierung von Urheberrechtsthemen bietet sich selbstverständlich alljährlich der 23. April als Welttag des Buches und des Urheberrechts an. Hier hat der dbv zuletzt am 22. April 2015 mit einer Pressemitteilung versucht, die eigenen Themen in den Kontext des Aktionstages zu rücken.8

4.4. Auf aktuelle Gegebenheiten schnell reagieren

Wie wichtig es sein kann, aktuelle Positionierungen aufzugreifen, lässt sich am Beispiel des Beitrages von Gerd Billen, Staatssekretär im BMJV, im Frühling 2014 in der Zeitschrift „Politik & Kultur“ (puk) des Deutschen Kulturrates unter der Überschrift „Anpassung an das digitale Zeitalter“ zeigen.9 Billen geht ausdrücklich darauf ein, dass und in welchem Umfang im Urheberrecht ein entsprechender Anpassungsbedarf besteht. Der dbv – in diesem Fall vertreten durch das Vorstandsmitglied Jürgen Heeg (UB Magdeburg) – war in der Lage, sehr schnell zu reagieren und in der folgenden Ausgabe von puk einen Kommentar unter der Überschrift „Die digitale Herausforderung“ zu veröffentlichen.10

Parallel dazu hatte sich der dbv-Vorsitzende in einem Schreiben vom März an Gerd Billen gewandt. Dieses Schreiben führte sowohl zu einem persönlichen Gespräch mit dem Staatssekretär als auch – als unmittelbare Folge dieses Gesprächs und weiterer Informationsvermittlung – zu mittlerweile zwei Teilnahmen des dbv-Vorsitzenden an Gesprächsrunden beim Bundesjustizminister.

4.5. Besonderheiten auf Landes- und kommunaler Ebene nutzen

Von Bedeutung ist bei vielen dbv-Aktivitäten auch, dass der dbv aufgrund seiner verästelten Organisationsstruktur zumindest die Möglichkeit hat, Themen sowohl auf Bundesebene als auch auf der Ebene der Bundesländer und schließlich auf der Ebene einzelner Kommunen bzw. Hochschulen aufzugreifen. Diese Möglichkeiten sollte der dbv perspektivisch noch intensiver nutzen.

Gerade bei Gesetzgebungsverfahren, die Auswirkung auf die Bundesländer haben – bei allem, was mit Bildung und Wissenschaft zu tun hat, ist davon auszugehen, dass es solche Auswirkungen gibt – sollte auch die Vertretung der Bundesländer im Bundesrat angemessen berücksichtigt werden. Hier kann es im Einzelfall durchaus so sein, dass wichtige Initiativen aus einem einzelnen Bundesland kommen, die wiederum andere Bundesländer aufgreifen. Für geschickt agierende Lobbyorganisationen besteht so die Möglichkeit, Gesetzgebungsprozesse zu beeinflussen. Dabei sollten sich mit der Lobbyarbeit Beauftragte bewusst sein, dass die politischen Ebenen häufig miteinander verschränkt sind und dass beispielsweise jede/r Bundestagsabgeordnete natürlich gleichzeitig den Hintergrund eines Bundeslandes und eines konkreten Wahlkreises hat. Auch hier kann man sozusagen auf verschiedenen Ebenen an die gleiche Person herantreten. Dabei sind sicherlich beim Lobbying auf Länderebene Besonderheiten zu beachten, die am besten die Kolleginnen und Kollegen vor Ort kennen. Ein enger Schulterschluss zwischen den Aktivitäten auf der Bundesebene und entsprechenden Aktivitäten auf Ebene der Bundesländer sollte also gegeben sein.

Es bleibt spannend, welche Wege die angekündigte Novellierung des Urheberrechtsgesetzes im Sinne einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode im Herbst 2017 findet. Der Deutsche Bibliotheksverband wird seinen Teil dazu beitragen, dass es zu vernünftigen Regelungen kommen wird.

Literaturverzeichnis

Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“: Eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsklausel wird gebraucht, keine leicht auszuhebelnde Schranke, Pressemitteilung vom 11. Mai 2015. http://www.urheberrechtsbuendnis.de/pressemitteilung0214.html.de (15.09.2015).

Billen, Gerd: Anpassung an das digitale Zeitalter: Das Verhältnis zwischen Verbraucherschutz und Kulturbereich im Wandel. In: Politik & Kultur - Zeitschrift des Deutschen Kulturrates 14 (2014), H. 2, S. 1. http://kulturrat.de/dokumente/puk/puk2014/puk02-14.pdf (15.09.2015).

Chen, Esther: Wissenschaftsschranke als parteiübergreifendes Ziel: Fachsymposium „Urheberrecht für die Wissensgesellschaft“/Spannungen zwischen Verlagen, Politik, Wissenschaft und Bibliotheken. In: BuB – Forum Bibliothek und Information 65 (2013), H. 1, S. 6–7. http://www.b-u-b.de/pdfarchiv/Heft-BuB_01_2013.pdf#page=1&view=fit&toolbar=0&pagemode=bookmarks (30.09.2015).

Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Fachsymposium und Podiumsdiskussion „Urheberrecht für die Wissensgesellschaft - Herausforderungen in der digitalen Welt“, 25.10.2012, Berlin. http://www.bibliotheksverband.de/dbv/fortbildungen-messen-kongresse/symposium-urheberrecht-25102012.html (30.09.2015).

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Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Deutscher Bibliotheksverband fordert allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke, Pressemitteilung vom 26.06.2014. http://www.bibliotheksverband.de/dbv/presse/presse-details/archive/2014/june/article/deutscher-bibliotheksverband-fordert-allgemeine-bildungs-und-wissenschaftsschranke.html?tx_ttnews[day]=26&cHash=cd197d40c2317e9c30112c1f72c4de3a (30.09.2015).

Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Bericht zur Lage der Bibliotheken 2014, S. 5. http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/publikationen/Bericht_zur_Lage_2014.pdf (15.09.2015).

Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Bibliotheken vernetzen – Analog und Digital, Pressemitteilung vom 22.04.2015. http://www.bibliotheksverband.de/dbv/presse/presse-details/archive/2015/april/article/bibliotheken-vernetzen-analog-und-digital.html?tx_ttnews[day]=22&cHash=a422a240bbbab3bf67477a11b393d226 (30.09.2015).

Deutscher Kulturrat: Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Diskussion einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht, Stellungnahme vom 19.06.2014. http://www.kulturrat.de/detail.php?detail=2863&rubrik=4 (15.09.2015).

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Heeg, Jürgen: Die digitale Herausforderung: Der Wissenschaftsstandort Deutschland und das Urheberrecht – die Einführung einer allgemeinen Wissenschaftsschranke. In: Politik & Kultur – Zeitschrift des Deutschen Kulturrates 14 (2014), H. 3, S. 28. http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/pressefotos/P_K03-14-Beitrag-Heeg_22-05-2014ps.pdf (15.09.2015).

Weber, Max: Politik als Beruf. München/Leipzig: Duncker & Humblot, 1919.

1 Max Weber: Politik als Beruf. München/Leipzig: Duncker & Humblot, 1919, S. 66.

2 Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode, 2013, S. 93. https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf (30.09.2015).

4 Deutscher Kulturrat: Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Diskussion einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht, Stellungnahme vom 19.06.2014.
http://www.kulturrat.de/detail.php?detail=2863&rubrik=4 (15.09.2015).

5 Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Fachsymposium und Podiumsdiskussion „Urheberrecht für die Wissensgesellschaft - Herausforderungen in der digitalen Welt“, 25.10.2012, Berlin. http://www.bibliotheksverband.de/dbv/fortbildungen-messen-kongresse/symposium-urheberrecht-25102012.html (30.09.2015) und Chen, Esther: Wissenschaftsschranke als parteiübergreifendes Ziel: Fachsymposium „Urheberrecht für die Wissensgesellschaft“/Spannungen zwischen Verlagen, Politik, Wissenschaft und Bibliotheken. In: BuB – Forum Bibliothek und Information 65 (2013), H. 1, S. 6–7. http://www.b-u-b.de/pdfarchiv/Heft-BuB_01_2013.pdf#page=1&view=fit&toolbar=0&pagemode=bookmarks (30.09.2015).

6 Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht, Stellungnahme vom 25.06.2014. http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/positionen/2014_06_25__Stellungnahme_Wissenschaftsschranke.pdf (30.09.2015) und Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Deutscher Bibliotheksverband fordert allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke, Pressemitteilung vom 26.06.2014. http://www.bibliotheksverband.de/dbv/presse/presse-details/archive/2014/june/article/deutscher-bibliotheksverband-fordert-allgemeine-bildungs-und-wissenschaftsschranke.html?tx_ttnews[day]=26&cHash=cd197d40c2317e9c30112c1f72c4de3a (30.09.2015).

7 Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Bericht zur Lage der Bibliotheken 2014, S. 5. http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/publikationen/Bericht_zur_Lage_2014.pdf (15.09.2015).

8 Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Bibliotheken vernetzen – Analog und Digital, Pressemitteilung vom 22.04.2015. http://www.bibliotheksverband.de/dbv/presse/presse-details/archive/2015/april/article/bibliotheken-vernetzen-analog-und-digital.html?tx_ttnews[day]=22&cHash=a422a240bbbab3bf67477a11b393d226 (30.09.2015).

9 Gerd Billen: Anpassung an das digitale Zeitalter: Das Verhältnis zwischen Verbraucherschutz und Kulturbereich im Wandel. In: Politik & Kultur – Zeitschrift des Deutschen Kulturrates 14 (2014), H. 2, S. 1. http://kulturrat.de /dokumente/puk/puk2014/puk02-14.pdf (15.09.2015).

10 Jürgen Heeg: Die digitale Herausforderung: Der Wissenschaftsstandort Deutschland und das Urheberrecht – die Einführung einer allgemeinen Wissenschaftsschranke. In: Politik & Kultur – Zeitschrift des Deutschen Kulturrates 14 (2014), H. 3, S. 28. http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/pressefotos/P_K03-14-Beitrag-Heeg_22-05-2014ps.pdf (15.09.2015).

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