Themenschwerpunkt „Berufsbild wissenschaftliche/r Bibliothekar/in“

Multitasker-Management: Wachsende Tätigkeitsvielfalt in der Qualifikationsebene 4 / im höheren Dienst und wie man ihr begegnet

André Schüller-Zwierlein, Universitätsbibliothek der LMU München

Zusammenfassung:

Der Beitrag analysiert die zunehmende Tätigkeitsvielfalt in der Qualifikationsebene 4 / im höheren Dienst, leitet Folgerungen für das Management ab und beschreibt die Situation an der UB der LMU München.

Summary:

The article analyses the growing complexity of the tasks subject librarians are facing today, highlights the management consequences and describes the situation at the University Library of the LMU Munich.

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2015H3S8-15

Autorenidentifikation: Schüller-Zwierlein, André: GND 141110929

“One of the most robust findings in cognitive science is that attention has a limited capacity”.1 Wissenschaftliche Studien haben festgestellt, dass es einen kleinen Prozentsatz von Menschen gibt, der drastisch besser multitasken kann als andere und der quasi ohne Qualitätsverlust mehrere Dinge gleichzeitig tun kann – die sogenannten Supertaskers.2 Angesichts dieser Tatsache ist es erstaunlich, dass es noch keinen Multitasker-Test bei Einstellungsverfahren gibt. Dabei wäre diese Fähigkeit doch mit Blick auf die wachsende Tätigkeitsvielfalt allererste Einstellungsvoraussetzung für Bibliothekarinnen und Bibliothekare der Qualifikationsebene 4 (QE4) bzw. des höheren Dienstes: Allein die „klassischen“ Fachreferatsaufgaben Titelauswahl, Fakultätskontakt und Vermittlung von Informationskompetenz haben sich in den letzten Jahren durch die wachsende Vielfalt an Medien, Medienpaketen, technischen, vertraglichen und inhaltlichen Angebotsformen in ihrer Komplexität deutlich gesteigert, Management- und Projektaufgaben nehmen zu, zudem übernehmen wissenschaftlich ausgebildete Bibliothekarinnen und Bibliothekare die Verantwortung für einen Großteil der Entwicklung von Innovationen in Bibliotheken. Für die einzelnen Tätigkeiten bleibt immer weniger Zeit – die oder der Einzelne kann zudem Rhythmus und Abfolge der verschiedenen Tätigkeiten bei weitem nicht immer selbst bestimmen. Multitasking bestimmt also einen Großteil des bibliothekarischen Alltags.

Wissenschaftliche Studien haben jedoch gezeigt, dass Menschen, die viel Multitasking machen, dies sogar schlechter können als Menschen, die dies nur selten tun, da erstere sich häufig von irrelevanten Reizen ablenken lassen.3 Hieraus ergibt sich für die Praktiker/innen eine klare Aufgabenstellung: Der Umgang mit multipler Arbeitsbelastung ist eine Managementaufgabe. Multitasker/innen, also Menschen, die mit vielen Aufgaben gleichzeitig befasst und belastet sind, müssen gemanagt werden. Ihnen müssen Informationsquellen, Abläufe und Geschäftsgänge, klar definierte gemeinsame Ziele und Prioritäten, Mechanismen der Zusammenarbeit und technische Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden, damit sie ihre Aufgaben effektiv bewältigen können.

Hierzu muss erst einmal die Aufgabenstellung ausgearbeitet werden: Die psychologische Forschung differenziert unter dem Oberbegriff „Multitasking“ verschiedene Ausprägungen, je nachdem, ob Arbeitsprozesse wirklich gleichzeitig stattfinden (Multitasking im engeren Sinne), ob intentional laufend zwischen Arbeitsprozessen gewechselt wird (auch Task-Switching genannt) oder ob Arbeitsunterbrechungen durch äußere Faktoren vorkommen.4 In der bibliothekarischen Praxis verschränken sich diese Phänomene, insbesondere bei Kommunikationsprozessen, die einen Großteil der bibliothekarischen Arbeit in der QE4 ausmachen: Werden mehrere Projekte gleichzeitig verfolgt, möglichst jeweils mit enger Deadline und vielen Projektbeteiligten, dann ist ständiges intentionales Wechseln im Sinne des Task-Switching ebenso häufig wie unvorbereitete Arbeitsunterbrechungen. In manchen Fällen ist auch Multitasking im engeren Sinne erforderlich, etwa wenn man gleichzeitig telefoniert und eine E-Mail schreibt. Gemein haben diese Phänomene, dass sie oft Leistungsverluste (auch: „Wechselkosten“)5 verursachen und somit eine Reaktion des Bibliotheksmanagements erfordern. Daher werden im Folgenden diese Phänomene unter den Oberbegriff „Multitasking“ zusammengefasst und nach Bedarf differenziert.

Was hat die arbeitspsychologische Forschung bislang festgestellt, was lässt sich an Auswirkungen in der Praxis beobachten? Durch intensives Multitasking wird beispielsweise die Leistung in den Einzelaufgaben schlechter.6 Bei Aufgaben, die nach außen wirken, ist dies ein besonderes Problem. Ein typischer Fall, der das Projektmanagement schwächt, ist die Kommunikation in dem Sinne, dass alle zu einer bestimmten Frage relevanten Personen benachrichtigt werden, wenn man selbst schon wieder zur nächsten Aufgabe gerufen wird. Hier entstehen erfahrungsgemäß oft Kommunikationspannen und Projektverzögerungen.

Weitere Effekte sind beobachtet worden und zeigen sich häufig in der täglichen Praxis: So dauern bei intensivem Multitasking die Einzelaufgaben zumeist länger,7 ihre Dauer ist weniger kalkulierbar. In der Durchführung der Einzelaufgaben hat man weniger Selbstkontrolle, z.B. in Bezug auf Methode oder Gründlichkeit.8 Die Führung komplexer Projektpläne wird notwendig, um die Abläufe noch zu bewältigen – sie erfordert jedoch eigene Ressourcen. Kreativität wird zudem gehemmt – es bleibt immer weniger Raum zum grundsätzlichen Nachdenken. Auch die Gedächtnisleistung wird beeinträchtigt – Protokollierung und Informationsmanagement gewinnen immer mehr an Bedeutung, da immer weniger Zeit zu konzentriertem Arbeiten vorhanden ist. Dementsprechend führt zu viel Multitasking nachgewiesenermaßen zu Stresserscheinungen und Arbeitsunzufriedenheit. Arbeitsunterbrechungen und Multitasking nehmen „als psychische Belastungen einen wichtigen Stellenwert“ ein.9 Positive Effekte seien jedoch nicht verschwiegen: Durch den Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in verschiedensten Gebieten steigen der strategische Überblick und das Verständnis für andere Abteilungen/Tätigkeiten. Die Möglichkeit, im Multitasking zu arbeiten, führt oft zu größerer Arbeitszufriedenheit (Mischtätigkeit), Arbeitsunterbrechungen können bei monotonen Tätigkeiten auch als positiv empfunden werden,10 und gerade in der wissenschaftlich ausgebildeten QE4 werden eine Tätigkeitsvielfalt und ein erweitertes Berufsbild, das sich in Richtung Wissens- und Wissenschaftsmanagement entwickelt, sicher in gewissem Maße auch als Bereicherung empfunden.

Dennoch führen die alltäglich wahrnehmbaren negativen Effekte von Multitasking die Praktiker/innen schnell zu der Frage: Ist Multitasking trainierbar oder vermeidbar? Nun, Multitasking kann man, wenn überhaupt, nur begrenzt trainieren – die Forschung ist hier allerdings uneins.11 Multitasking-Fähigkeiten variieren zudem ebenso wie andere Fähigkeiten auch mit dem Alter: Tendenziell nehmen sie in fortgeschrittenem Alter eher ab – eine Herausforderung für das Personalmanagement.12 Trotz vereinzelter kommerzieller Anbieter in diesem Bereich scheint eine Lösung durch bloßes Training kaum erreichbar. Kompensation durch Erfahrung wird nicht immer ausreichen, da sich auch die Tätigkeiten verändern, und Kompensation durch gedächtnisstützende, dokumentierende Maßnahmen wird in der Praxis aus Zeitmangel nicht immer möglich sein.13 Multitasking ist allerdings aufgrund von Ressourcengrenzen und eines beträchtlichen Bestandteils von außen diktierter Projekte, externer Rückmeldungen und Terminplänen in einer großen Institution letztlich meist unvermeidlich. Die in der Wirtschaft oft angestrebte Lösung, Multitasking abzustellen, ist angesichts begrenzter Ressourcen im öffentlichen Dienst zumeist nicht verfügbar. Dies gilt nicht nur, aber auch, für die Arbeit von wissenschaftlichen Bibliothekar/inn/en: In einer Umfrage der VDB-Fachreferatskommission 2011 zeigte sich, dass bei 48 % der Befragten die klassische Fachreferatstätigkeit (Erwerbung, Erschließung, Benutzung/IK) höchstens 30 % des Tätigkeitsspektrums umfasste, bei weiteren knapp 30 % der Teilnehmer/innen etwa 50 % der Tätigkeit.14 Gegenüber früher, so die Wahrnehmung vieler Kolleginnen und Kollegen, wird einfach mehr gefordert, wegfallen tut hingegen kaum etwas. Auch die geisteswissenschaftliche Spezialanfrage (nach Manuskripten mittelalterlicher Heiligenviten, englischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts oder der Geschichte ausländischer Bildungsinstitutionen etc.) muss nach wie vor beantwortet werden können, ebenso aber sind die optimale Pressemeldung, die Haushaltskalkulation angesichts komplexer Pakete und Verträge, die Beratung beim elektronischen Publizieren sowie die Mitarbeiterführung und die Ausstattungsplanung erforderlich. Das erweiterte Tätigkeitsspektrum wirft in der Praxis Fragen der Methodisierung und Rationalisierung, Fragen nach den „[o]rganisationale[n] Rahmenbedingungen“15 und den Reaktionsoptionen des Bibliotheksmanagements auf.

Wie ist die Lage an der UB der LMU München? Hier ist man vom ersten Arbeitstag an notgedrungen Multitasker/in: Eine recht geringe Zahl von Fachreferent/inn/en und Abteilungsleiter/innen trifft hier auf eine der größten Universitäten Deutschlands sowie auf ein Bibliothekssystem mit 15 großen und ca. 90 kleinen Standorten. Hinzu kommt eine beträchtliche Zahl an technischen, organisatorischen und baulichen Großprojekten. Allein in der Abteilung „Dezentrale Bibliotheken“ finden derzeit gleichzeitig die Einführung einer gemeinsamen Benutzungsordnung, die Vereinheitlichung der Geschäftsgänge, die Zentralisierung der Zeitschriftenbearbeitung, Bau und Bildung von zwei großen und einer kleinen Fachbibliothek, die Sanierung und Auslagerung von zwei bis drei Standorten u.v.m. statt. Ganz zu schweigen von zahllosen kleinen und großen Koordinations- und Vereinheitlichungsfragen (von der Datenbankstruktur des Lokalsystems bis zur Garderobenordnung, von der Buchung von Gruppenarbeitsräumen bis zur Ausstattung mit umweltverträglichen Tragetaschen), der Tagesarbeit und den üblichen täglichen Überraschungen wie Wasserschäden oder Schadstoffbelastung. Ein/e Mitarbeiter/in der 4. QE übernimmt daher an der UB der LMU üblicherweise bereits zu Beginn eine Vielzahl von Tätigkeiten: die Leitung von Fachbibliotheken, die klassischen Fachreferatstätigkeiten von Erwerbung bis Erschließung, die Vermittlung von Informationskompetenz sowie koordinative bzw. Projektaufgaben. Dies steigert sich meist mit der Zeit und der Arbeitserfahrung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Es gilt 13 Fachbibliotheken, Zentralbibliothek und Zentrale Lehrbuchsammlung, 34 Fachreferate, 14 offizielle Projekte/Referate, die eine eigene Zuordnung erfordern und teilweise eigene Teams beinhalten, 5 AGs mit konkreten Arbeitszielen und die Zuständigkeit für gut 100 Standorte auf 5 Abteilungsleiter/innen und 9 Fachreferent/inn/en bzw. Bibliotehksleiter/innen zu verteilen (9 Personen, teils mit halben Stellen). So kann eine Bibliotheksleiterin beispielsweise nur ein bis zwei Tage an dem Standort verbringen, den sie leitet.

Was bedeutet das für die tägliche Arbeit? Die Vielfalt der Tätigkeiten ist einerseits projekthemmend, weil es wenig Zeit für die einzelnen Tätigkeiten gibt, andererseits durchaus auch projektfördernd, weil Projekte nicht zusätzlich kommen, sondern als Teil der Tätigkeit gesehen werden, und weil Zeitmangel oft Automatisierungsprojekte anstößt – die dann natürlich wieder eigene Projekte darstellen, die ihrerseits Zeit kosten. Die Vielfalt der Tätigkeiten ist zudem einerseits strategiefördernd, weil die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an strategisch relevanten Entwicklungen beteiligt sind und keiner isoliert ist, aber andererseits auch strategiehemmend, wenn die Vielfalt zu groß ist – wenn alles begonnen und nichts abgeschlossen wird. Insbesondere stellt sich in der täglichen Arbeit die strukturelle Frage von unterschiedlichen Vorgesetzten für unterschiedliche Funktionen. Multitasking ist nur sauber möglich, wenn die betrieblichen Strukturen geklärt sind.

In Bezug auf die Fachreferent/inn/en stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage: Welche Rolle kann die fachwissenschaftliche Ausbildung in diesem Umfeld noch spielen? Die Praxis zeigt: Sie bleibt wichtig, denn es gilt die Vielzahl an Aktivitäten auf die Bedürfnisse aller Wissenschaftsbereiche auszurichten, und nur wenn im Kollegium auch die entsprechenden Fachwissenschaften vertreten sind, ist dies ansatzweise möglich. Jenseits klassischer Bereiche wie der Erschließung gilt es – und dies möchte ich aus meiner Arbeitserfahrung an der UB der LMU München heraus besonders betonen – die grundlegende Bedeutung der fachwissenschaftlichen Ausbildung in einer Vielzahl von Projekt- und Stabstätigkeiten zu realisieren: So sind ausgebildete Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler z.B. unverzichtbar, wenn für verschiedene Standorte einheitliche Benutzungsbedingungen geplant werden, wenn die Sicht des Faches bei Bau-, Umzugs- und Auslagerungsplanungen berücksichtigt werden muss (z.B. Medienlabor, Gruppenarbeit), wenn Alumni-Mittel für Bauprojekte eingeworben werden, wenn Sparmaßnahmen oder größere Bestandsverkleinerungen anstehen, oder wenn eine Regal- oder Magazinplanung für die nächsten Jahrzehnte erforderlich ist. Zudem steigt die Bedeutung der fachbasierten Kommunikation mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, da die Etats enger und die Medienangebote immer vielfältiger werden – allein das vergleichende Studium von Paketen und Angebotsformen und das Zuschneiden auf den lokalen Standort erfordern massiven Input von Fachreferent/in und Wissenschaftler/in. Optimaler Medienmix ebenso wie optimale Lernorte können nur aus fachlicher Sicht gestaltet werden. Gleichzeitig ist eine umfassende und laufende Vertiefung fachwissenschaftlicher Kenntnisse aufgrund der Vielzahl der Projekte oft schwierig.

Aus Sicht der Bibliotheksleitung stellt sich angesichts dieser Tätigkeitsvielfalt für den Gesamtbetrieb die Frage: Ist ein solcher Betrieb noch planbar und entwicklungsfähig? Die Antwort: Er ist es nur dann, wenn entsprechende Methoden gefunden werden, wie die Multitasking-Belastung handhabbar wird. Was kann man also tun? Zunächst einige grundsätzliche Überlegungen: Multitasking kann nur reduziert werden, wenn klar priorisiert wird zwischen Maßnahmen ebenso wie zwischen Projekten und strategischen Zielen. Eine durchgehende Standardisierung von Prozessen kann die Bearbeitung von Einzelprozessen, die Interaktion und die Vertretbarkeit erleichtern und damit dringend benötigte Arbeitskapazitäten sparen. Diesen Effekt haben auch Automatisierung und Outsourcing, die die Bearbeiter/innen von Einzelprozessen entlasten können. Eine klare Funktionsdefinition beim Umgang mit komplexen Medien (z.B. wer macht Abdeckungsabgleiche bei Datenbanken) entlastet die Mitarbeiter/innen von oft umständlichen Kommunikationsprozessen. Auch die Bündelung von Kommunikation und die Etablierung regelmäßiger Berichtsrhythmen statt ständiger Einzelkommunikation erleichtern den Alltag. Verbesserte Dokumentation und Datenhaltung helfen, Gedächtnislücken und damit Prozessverzögerungen und Doppelarbeit zu verhindern. Die Defragmentierung von Geschäftsgängen und Tätigkeitsprofilen – immer in einem schwierigen Ausgleich mit dem verbreiteten Bedürfnis nach Mischtätigkeit – hilft eine (oft auch unbemerkte) Überlastung durch Multitasking zu vermeiden. Auch die Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zu trainieren und aktuell zu halten, etwa durch Fortbildungen in Projektmanagement und Selbstmanagement/Aufgabenverwaltung (bei genauerem Hinsehen treten hier oft schon beim Gebrauch alltäglicher Programme erhebliche Probleme auf), aber auch durch fachnahe Fortbildung, etwa im Bereich Fachreferat. Fortbildungen für das jeweilige Fachreferat werden derzeit meist nur alle paar Jahre einmal durchgeführt – dies ist viel zu wenig: wenn man zu wenig Zeit hat, um sich selbst ständig mit allen fachlichen Details zu beschäftigen, ist die Aktualisierung des fachlichen Wissens durch Fortbildungen besonders wichtig. Auch familienfreundlichere Arbeitsmodelle können helfen, die cognitive load zu reduzieren, denn private Belastungen sind als Bedingungen einer optimalen Arbeitsleistung ernstzunehmen. Kreativphasen schließlich sollten zeitlich eingeplant und von anderen Tätigkeiten freigehalten werden – nur so ist Innovation als festes Element des Betriebs möglich.

Welche praktischen Konsequenzen sind an der UB der LMU in den letzten Jahren gezogen worden? Zunächst konnte eine gewisse Entlastung durch den Einsatz von befristeten Projektstellen, auch in Kombination mit nebenberuflicher Ausbildung, geschaffen werden. Daneben wurden in einigen Bereichen strategische Entscheidungen getroffen, die die Belastung der QE4 reduzieren: So wird immer mehr in Online-Dienstleistungen zur Vermittlung von Informationskompetenz investiert. Die Dienstleistungen für Schülerinnen und Schüler wurden nach einer strategischen Priorisierung der Publika der UB deutlich reduziert. Und schließlich erfolgt in der UB seit längerem keine verbale Sacherschließung mehr, die klassifikatorische Sacherschließung wird großenteils durch die QE3 (gehobener Dienst) durchgeführt. Der Schwerpunkt der Maßnahmen lag jedoch darauf, Abläufe und Effizienz für jede/n einzelne/n Mitarbeiter/in zu verbessern: Durch Automatisierung von Geschäftsgängen, Verbesserung der Reporting-Mechanismen und Outsourcing von Leistungen (z.B. bei der Erwerbung aus den Mitteln der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung durch automatische Vorakzession im Lieferantenportal und Auslassen der Bestellkatalogisierung) konnten die Tagesarbeit deutlich erleichtert und Zusatzbelastungen aufgefangen werden. Die vermehrte Standardisierung von Geschäftsgängen (z.B. Mustergeschäftsgänge, Funktionsmailadressen), auch in größeren Gruppenveranstaltungen, half, viele versteckte Belastungen in der breiten Mitarbeiterschaft zu reduzieren – best practice innerhalb des eigenen Betriebs ist eine oft unterschätzte Ressource. Diese gilt es optimal einzubinden, daher hat die UB der LMU ihre Kommunikationswege optimiert, mehr laufende Runden in teils überlappenden Besetzungen mit verschiedenen Themenschwerpunkten und Detailgraden eingeführt: So ist etwa die erweiterte Leitungssitzung systematisch an der Strategie- und Entscheidungsfindung für den Gesamtbetrieb beteiligt, daneben finden regelmäßige Bibliotheksleitertreffen sowie eigene Fachreferententreffen statt – so können die multitaskenden Personen ihre einzelnen Tätigkeiten besser voneinander trennen und die Diskussionen laufen strukturierter ab. Gleichzeitig wurden die Bereiche der UB eindeutiger gegliedert und klarere Zuständigkeiten geschaffen – ein sharepoint-basiertes Intranet hilft bei der Strukturierung, reduziert Speicherorte und bietet einen laufend konsultier- und durchsuchbaren Wissenspool. Auch die Tätigkeitsprofile und -anteile zwischen QE3 und QE4 wurden insbesondere im dezentralen Bereich geklärt. So wurden Vorgesetztenfunktion und Anweisungsbefugnis der QE3 gegenüber dem jeweiligen Bibliotheksteam gestärkt, eine eigene Geschäftsführerrunde eingerichtet und die Tätigkeitsanteile der QE4 pro Fachbibliotheksstandort festgelegt (nicht mehr als 40 % der Tätigkeit). Und schließlich wurde die Möglichkeit der Telearbeit geschaffen, um eine bessere Gesamt-Tätigkeitsverteilung zu ermöglichen. Diese Maßnahmen decken das Spektrum des Möglichen bei weitem nicht ab, sodass die UB angesichts der wachsenden Tätigkeitsvielfalt und der steigenden Komplexität des Medienmarktes auch in den kommenden Jahren einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Optimierung der Abläufe und Mechanismen legen wird, um Multitasking handhabbar zu machen und zukunftsgerichtete betriebliche Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Als Fazit lässt sich festhalten: Die Tätigkeit des fachwissenschaftlichen Bibliothekspersonals hat nicht an Bedeutung verloren, es sind nur weitere Tätigkeiten hinzugekommen. Daher muss sie mehr denn je methodisiert und strukturiert werden, damit sie sinnvoll bewältigt werden kann: „[S]ome multitasking actually improves productivity, but too much multitasking has a negative effect”.16

Literaturverzeichnis

Fußnoten

1 Watson, Jason M.; Strayer, David L.: Supertaskers: profiles in extraordinary multitasking ability. In: Psychonomic bulletin & review 17 (2010), S. 479-485, hier: S. 479. http://dx.doi.org/10.3758/PBR.17.4.479.

2 Ebd.

3 Siehe Ophir, Eyal; Nass, Clifford; Wagner, Anthony D.: Cognitive control in media multitaskers. In: Proceedings of the national academy of sciences of the United Nations of America. 106 (2009), S.15583-15587. http://dx.doi.org/10.1073/pnas.0903620106.

4 Baethge, Anja; Rigotti, Thomas: Arbeitsunterbrechungen und Multitasking. Ein umfassender Überblick zu Theorien und Empirie unter besonderer Berücksichtigung von Altersdifferenzen, Dortmund u.a.: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2010. Zu Unterbrechungen s. S. 9-25, zu Multitasking und Task-Switching S. 26-38. Die Autoren sprechen selbst von einer „enge[n] Verwandtschaft der Konstrukte“ (S. 39).

5 Ebd., S. 35.

6 Vgl. Ophir u.a., Cognitive control (wie Anm. 3) sowie Baethge; Rigotti, Arbeitsunterbrechungen (wie Anm. 4).

7 Siehe Bowman, Laura L. u.a.: Can students really multitask? An experimental study of instant messaging while reading. In: Computers & Education 54 (2010), S. 927-931. http://dx.doi.org/10.1016/j.compedu.2009.09.024.

8 Siehe z.B. Hamilton, Ryan u.a.: Being of two minds. Switching mindsets exhausts self-regulatory resources. In: Organizational behavior and human decision processes 115 (2011), S. 13-24. http://dx.doi.org/10.1016/j.obhdp.2010.11.005.

9 Siehe Baethge; Rigotti: Arbeitsunterbrechungen (wie Anm. 4), S. 75.

10 Ebd., S. 64.

11 Siehe z.B. Ophir u.a., Cognitive control (wie Anm. 3); Bier, Bianca; de Boysson, Chloé; Belleville, Sylvie: Identifying training modalities to improve multitasking in older adults. In: Age 36:9688 (2014). http://dx.doi.org/ 10.1007%2Fs11357-014-9688-2; Dux, Paul E. u.a.: Training improves multitasking performance by increasing the speed of information processing in human prefrontal cortex. In: Neuron 63 (2009), S. 127-138. http://dx.doi.org/10.1016/ j.neuron.2009.06.005; Rothbart, Mary K.; Posner, Michael I.: The developing brain in a multitasking world. In: Developmental review 35 (2015), S. 42-63. http://dx.doi.org/10.1016/j.dr.2014.12.006, sowie Baethge; Rigotti: Arbeitsunterbrechungen (wie Anm. 4).

12 Siehe z.B. Clapp, Wesley, C. u.a.: Deficit in switching between functional brain networks underlies the impact of multitasking on working memory in older adults. In: Proceedings of the national academy of sciences of the United Nations of America 108 (2011), S. 7212-7217. http://dx.doi.org/10.1073/pnas.1015297108. Vgl. auch Baethge; Rigotti: Arbeitsunterbrechungen (wie Anm. 4), S. 27 sowie 41-47.

13 Zu Kompensationsstrategien vgl. Baethge; Rigotti: Arbeitsunterbrechungen (wie Anm. 4), S. 44-46.

14 Siehe Schröter, Marcus: Der wissenschaftliche Bibliothekar – eine aussterbende Spezies? Umfrage der VDB-Kommission für Fachreferatsarbeit zum Thema ‚Fachreferat: gestern – heute – morgen‘. In: Ulrich Hohoff; Daniela Lülfing (Hg.): Bibliotheken für die Zukunft – Zukunft für die Bibliotheken. 100. Deutscher Bibliothekartag in Berlin 2011, Hildesheim: Olms, 2012, S. 190-191.

15 Baethge; Rigotti: Arbeitsunterbrechungen (wie Anm. 4), S. 68.

16 Adler, Rachel F.; Benbunan-Fich, Raquel: Juggling on a high wire: multitasking effects on performance. In: International journal of human-computer studies 70 (2012), S. 156-168, hier: S. 167. (http://dx.doi.org/10.1016/j.ijhcs.2011.10.003).