Einleitung zum Themenschwerpunkt

„Berufsbild wissenschaftliche/r Bibliothekar/in“

Rainer Plappert, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2015H3S1-3

Autorenidentifikation: Plappert, Rainer: GND 173023053

Debatten über das Berufsbild scheinen zum Selbstverständnis wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare zu gehören und begleiten den Berufsstand immer mal wieder in zyklisch wiederkehrenden Momenten. Gut dokumentiert in den lesenswerten Beiträgen eines im vorigen Jahr herausgegebenen Bandes über 200 Jahre Berufsbilddebatte deutscher Bibliothekare.1

Ungeachtet dieses langen Zeitraums beruflicher Selbstvergewisserung muten die wesentlichen Fragestellungen und daraus abgeleiteten Positionen gleichsam aktuell an und begleiten auch die heutige Debatte: Wie hält man es mit der Wissenschaft und wieviel Verwaltung muss sein? Dies berührt sowohl die Frage nach der Bedeutung der Wissenschaft und eines wissenschaftlichen Studiums für die Ausübung des Berufs als auch die vielfältigen Aufgaben in der Verwaltung bzw. dem Management des Wissenschaftsbetriebs und seiner Infrastruktur. Damit einhergehende Tätigkeits- und Berufsbilder mündeten über lange Zeit zumeist in die polarisierenden Leitbilder der wissenschaftlich tätigen Fachreferent/inn/en auf der einen und der Bibliotheksmanager/innen auf der anderen Seite. Positionen, die bis in die heutige Zeit nachwirken und in den vergangenen Jahren um den Aspekt der Zugangsvoraussetzungen und berufsimmanenter Schlüsselqualifikationen ergänzt wurden.2

Hatte über einen langen Zeitraum ein zumeist klar umrissenes Berufs- und Anforderungsprofil bestanden, so änderte sich dies spätestens mit dem Einzug der Datenverarbeitung und der Ausweitung der Aufgabenspektren fundamental. Ähnliches passierte auf der formalen Ebene der beruflichen Qualifikation und ihrer Zugangsvoraussetzungen. Die mit dem Bologna-Prozess seit der Jahrtausendwende eingeleiteten Studienreformen eröffnen eine Vielzahl neuer Abschluss- und Qualifizierungsoptionen, die den Zugang zum Beruf der wissenschaftlichen Bibliothekarin / des wissenschaftlichen Bibliothekars seitdem deutlich erweitern. Darüber hinaus wird die Diskussion um die Ausgestaltung eines aktuellen Berufsbildes mehr denn je durch inhaltliche Schlüsselqualifikationen geprägt. Doch welche sind dies und wie lässt sich die Aufzählung und Aneinanderreihung unterschiedlicher Schlüsselqualifikationen und Aufgabenfelder zu einem schlüssigen Berufsbild verbinden?

Dass die Diskussion über das berufliche Profil keine rein deutsche Befindlichkeit widerspiegelt, zeigt ein Blick in die Schweiz, wo eine Arbeitsgruppe im Jahr 2013 ein modernes und differenziertes Berufsbild entwickelte, welches durch die vier Bereiche Technologie und Innovation, Wissenschaft und Forschung, Leitungs- und Managementaufgaben sowie den Bereich Projekte und Spezialaufgaben maßgeblich bestimmt wird.3

Der Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VDB) griff als deutsche Standesorganisation der im wissenschaftlichen Bibliothekswesen tätigen Bibliothekarinnen und Bibliothekare diese Diskussion auf und veröffentlichte im Frühjahr 2014 ebenfalls ein Positionspapier zur Qualifikation als wissenschaftliche Bibliothekarin / wissenschaftlicher Bibliothekar.4

Vor dem Hintergrund sich verändernder Hochschulen und einer sich rasant wandelnden Wissenschaftsinfrastruktur definierte das Positionspapier des VDB die verschiedenen beruflichen Tätigkeitsfelder, benannte notwendige Kernkompetenzen der Beschäftigten und beschrieb die daraus abgeleiteten Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung der wissenschaftlichen Bibliothekarinnen und Bibliothekare und der am Beruf interessierten Studierenden. Das Positionspapier und die anschließende Diskussion verdeutlichten zugleich die Problematik, ein konzeptionell identifikationsstiftendes Berufsbild zu formulieren, welches in Anbetracht eines zunehmend heterogenen Qualifikations- und Aufgabenspektrums allgemeine Anerkennung findet.

Dabei beinhaltet die Diskussion um das aktuelle Berufsbild vier verschiedene Komponenten. Da wäre zunächst das jeweilige Selbstverständnis bzw. die Eigenwahrnehmung der Betroffenen zu nennen, das sich zu einem geringeren Teil aus den Traditionen, in der Hauptsache aber aus den aktuellen Tätigkeiten speist. Hinzu treten die für den Beruf erforderlichen und zu vermittelnden Ausbildungsqualifikationen sowie als dritte Komponente die formalen Voraussetzungen und Laufbahnbefähigungen, Qualifikationsebenen und Eingruppierungen, welche den Zugang zum Beruf regeln und einordnen. Und schließlich und wesentlich das tagtägliche Arbeitsumfeld der bzw. des Einzelnen mit den in der Praxis ausgeübten Tätigkeiten und beruflichen Anforderungen.

Der Themenschwerpunkt zum Berufsbild greift einige Facetten dieser aktuellen Diskussion auf und präsentiert vier Beiträge, die am 30. September 2014 auch Gegenstand der vom VDB Landesverband Bayern in der Universität Frankfurt am Main veranstalteten Fortbildung „Berufsbild Wissenschaftliche(r) Bibliothekar(in) heute – Anforderungen und Perspektiven“ waren.5 Deren Spektrum reicht von den aktuellen Ausbildungs- und Qualifizierungswegen (Achim Oßwald) über die Aspekte des Maultitasker-Managements und Fragen der Einsatzplanung im höheren Dienst (André Schüller-Zwierlein ) bis zu individuellen Aufgabenfeldern in einzelnen Bibliotheken (Claudia Martin-Konle und Lambert Heller), welche die Vielfalt und Bandbreite gegenwärtiger Aufgaben und aktueller Trends im Berufsalltag wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare dokumentieren.

Fußnoten

1 Siebert, Irmgard; Lemanski, Thorsten (Hg.): Bibliothekare zwischen Verwaltung und Wissenschaft. 200 Jahre Berufsbilddebatte, Frankfurt am Main: Klostermann, 2014.

2 Vgl. dazu auch die Thesen des öffentlichen Round-Table-Gesprächs am 4. März 2014 in Berlin. http://www.vdb-online.org/wordpress/2015/02/24/thesen-zum-round-table-gesprach-des-vdb-am-4-marz-teil-1/ (07.09.2015) und http://www.vdb-online.org/wordpress/2015/03/01/thesen-zum-round-table-gesprach-des-vdb-am-4-marz-teil-2/ (07.09.2015).

3 Ausführlich nachzulesen im Netz auf den Seiten der Interessengruppe Wissenschaftliche Bibliothekar/innen Schweiz - IG WBS unter: http://www.igwbs.ch/wp-content/uploads/2013_11_18_igwbs_berufsbild.pdf (07.09.2015).

4 http://www.vdb-online.org/wordpress/wp-content/uploads/2014/04/Position-des-VDB-zur-Qualifikation-als-wissenschaftliche_r-Bibliothekar_in-Final_18.03.2014.pdf (07.09.2015).

5 Diese und zwei weitere Präsentationen der Fortbildung finden sich unter: http://www.vdb-online.org/veranstaltungen/657/ (08.09.2015).